Gentherapie für Patienten mit Hämophilie B ist Faktor-IX-Gabe überlegen
Die lebenslange regelmäßige intravenöse Substitution des Gerinnungsfaktors IX ist die bisher einzige Therapieoption bei der Hämophilie B, einer seltenen, nur bei Männern manifesten Erkrankung, bei der es durch den Faktor-IX-Mangel unter anderem zu spontanen Muskel- und Gelenkeinblutungen kommt. Eine innovative Gentherapie könnte der „Gamechanger“ bei der Erkrankung sein, wie eine aktuelle Phase-3-Studie zeigte.
Ein AAV-Vektor (vermehrungsunfähiges adenoassoziiertes Virus) wurde mit einem Gen ausgestattet, das die DNA-Sequenz für die Synthese des Gerinnungsfaktors IX beinhaltet. Das in der aktuellen Studie untersuchte, intravenös zu injizierende Präparat Etranacogene Dezaparvovec schleust über den AAV5-Vektor die sogenannte Padua-Variante des Faktor-IX-Gens in Leberzellen von Patienten mit Hämophilie B ein. Das resultierende Faktor-IX-Protein weist eine im Vergleich zum Wildtyp 6- bis 8-fach höhere Aktivität auf.
In die multizentrische Open-label-Studie „HOPE-B“ wurden insgesamt 54 erwachsene Patienten mit Hämophilie B und einer Faktor-IX-Aktivität ≤2% eingeschlossen. Das mittlere Alter der Patienten lag bei 42 Jahren. Die Studienteilnahme war dabei unabhängig davon, ob AAV5-neutralisierende Antikörper vorlagen. Alle Patienten standen zu Studienbeginn unter einer regelmäßigen Faktor-IX-Substitutionstherapie und setzten diese im Rahmen des Studienprotokolls für mindestens 6 weitere Monate fort (lead-in period). Danach erhielten alle Teilnehmer eine Einzelinfusion von Etranacogene Dezaparvovec (2×1013 Genkopien pro kg Köpergewicht). Als primären Studienendpunkt definierten die Autoren die jährliche Rate an Blutungskomplikationen innerhalb von 52 Wochen nach Stabilisierung der Faktor-IX-Produktion, was 6 Monate nach Beginn der Behandlung mit Etranacogene Dezaparvovec angenommen wurde. Diese Blutungsrate wurde in einer Nichtunterlegenheits-Analyse mit derjenigen im Zeitraum vor der genetischen Behandlung verglichen.
Die meisten Patienten wiesen zu Studienbeginn eine Faktor-IX-Aktivität von <1% auf. Ein Anstieg der Faktor-IX-Aktivität wurde ab 3 Wochen nach der Etranacogene-Dezaparvovec-Infusion beobachtet (mittlere Aktivität 29±13%), und nach 6 Monaten betrug die Faktor-IX-Aktivität im Mittel 39±19%. Die jährliche Blutungsrate ging von 4,2% vor der Behandlung mit Etranacogene Dezaparvovec auf 1,5% nach Stabilisierung der intrinsischen Faktor-IX-Produktion zurück (RR 0,36%; 95%-KI 0,20–0,64). Damit konnte statistisch nicht nur die Nichtunterlegenheit, sondern sogar die Überlegenheit der Therapie nachgewiesen werden. Ein Studienteilnehmer erlitt unter der Infusion von Etranacogene Dezaparvovec eine allergische Reaktion und die Behandlung wurde nach Applikation von ca. 10% der vollen Dosis gestoppt. Bei 20% der Patienten kam es nach der Behandlung zu einem Anstieg des Leberenzyms GOT und bei 17% erfolgte aufgrund der GOT-Erhöhung eine Kortisontherapie (im Mittel für 80 Tage), um die Funktion der paduaexprimierenden Leberzellen zu erhalten. 52 Studienteilnehmer (96% der Gesamtkohorte) konnten die Faktor-IX-Substitutionstherapie nach der Infusion von Etranacogene Dezaparvovec beenden. Bei einem der beiden Patienten, bei denen dies nicht möglich war (Faktor-IX-Aktivität dauerhaft <5%), handelte es sich um den Patienten mit der allergischen Reaktion, der nur 10% der Dosis erhalten hatte; und der andere Patient wies den höchsten Serumspiegel AAV5-neutralisierender Antikörper der gesamten Kohorte auf (1:3212). AAV5-neutralisierende Antikörper waren vor Therapiebeginn bei insgesamt 38,9% der Studienteilnehmer nachweisbar. Die mittlere Faktor-IX-Aktivität betrug 18 Monate nach der Infusion mit Etranacogene-Dezaparvovec jeweils 31,1% bzw. 39,9% bei Patienten mit bzw. ohne AAV5-neutralisierende Antikörper. Bis zu einem Titer von 1:678 wurde keine Korrelation zwischen AAV5-neutralisierenden Antikörpern und der Faktor-IX-Aktivität nach 18 Monaten verzeichnet. Darüber hinaus wurde, wenn man den Patienten mit dem höchsten AAV5-Antikörpertiter nicht in die Analysen einbezog, eine vergleichbare klinische Effektivität der Behandlung bei Patienten mit bzw. ohne AAV5-neutralisierende Antikörper verzeichnet.
Fazit:
Die einmalige Gabe der gentherapeutischen Substanz Etranacogene Dezaparvovec führte bei Patienten mit Hämophilie B zu einer anhaltenden endogenen Faktor-IX-Produktion und war der dauerhaften Faktor-IX-Substitution überlegen. Auch Patienten mit neutralisierenden Antikörpern gegen den Vektor konnten in der Regel erfolgreich behandelt werden. Aus vorausgehenden Studienergebnissen leiten die Autoren eine wahrscheinliche Langzeitwirksamkeit der Behandlung ab, weitere Analysen im längeren Verlauf bleiben aber abzuwarten.
Quelle:
Franke K. Gentherapie für Patienten mit Hämophilie B ist Faktor-IX-Gabe überlegen. DMW – Deutsche Medizinische Wochenschrift 2023; 148(23): 1488 – 1488. doi:10.1055/a-2043-7504
Publikationsdatum: 10. November 2023 (online)
Autor Studienreferat: Dr. med. Katharina Franke, Darmstadt